Unter dem Motto „Vielfalt“ brachte die Bläserphilharmonie am Ostersonntag ein anspruchsvolles und virtuoses Konzertprogramm auf die Bühne. Die begeisterte Reaktion des Publikums dürfte dem Wertinger Orchester beim anstehenden Deutschen Orchesterwettbewerb den Rücken stärken
Wertingen Kein Platz blieb am Sonntagabend in der Wertinger Stadthalle frei, als die Bläserphilharmonie dort ihr Osterkonzert gab. Zwar ist der Konzertbesuch für viele längst zur jährlichen Ostertradition geworden, musikalische Überraschungen blieben jedoch auch dieses Jahr nicht aus. Denn Dirigent Germán Moreno López wählte für das vielschichtige Konzertprogramm Werke von Anton Bruckner bis Astor Piazzolla und traf damit ins Schwarze.
Hinter dem Orchester liegt ein ereignisreiches Jahr, dessen Höhen und auch Tiefen Moreno López in seinem klug gewählten Programm auf musikalische Weise reflektiert. Einer der Höhepunkte: Nach ihrem Sieg beim Bayerischen Orchesterwettbewerb im November darf die Bläserphilharmonie den Freistaat nun beim kommenden Deutschen Orchesterwettbewerb in Wiesbaden repräsentieren und zudem eine Aufnahme beim Bayerischen Rundfunk einspielen. Dirigent Germán Moreno López findet dafür wertschätzende Worte: „Das erste Gefühl, das ich bei dieser Reihe von Erfolgen empfinde, ist nicht Stolz, sondern Bewunderung – für die musikalische Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Stadt Wertingen, in der wir leben.“ Schon seit vielen Jahren gilt die Stadtkapelle nicht nur als wichtige Institution in Wertingen, sondern darüber hinaus als bekanntes Aushängeschild der Stadt in der bundesweiten Orchester-Szene.
Die Gründe für diesen Erfolg wurden den Zuhörer:innen am Sonntag besonders deutlich, denn die erste Konzerthälfte war den Wertungsstücken für den Orchesterwettbewerb gewidmet. Das erste Stück „Danza Oriental“ des spanischen Komponisten José Manuel Izquierdo wird der Bläserphilharmonie dort als Einspielstück auf der Bühne dienen, bevor sie ihre beiden Wertungsstücke präsentiert. Eine entsprechende Wirkung entfaltete es auch beim Osterkonzert, denn seine orientalischen Melodien und schwungvollen Rhythmen sorgten für einen energiegeladenen Konzertbeginn und würdigten gleichzeitig die spanische Heimat des Dirigenten.
Stadtkapellen-Präsident Hubertus von Zastrow nutzte daraufhin die Gelegenheit, den beteiligten Musiker:innen und Helfer:innen für ihr Engagement zu danken. Neben der intensiven musikalischen Vorbereitung des Orchesters und ihres Dirigenten, auf die er „wahnsinnig stolz“ sei, würdigte er die organisatorische Arbeit des Vereins. Dabei nannte von Zastrow auch die bei der Vorbereitung des Konzerts beteiligten Asylbewerber:innen, welche im Rahmen seines Integrationsprojekts für den Landkreis Dillingen mitgeholfen hatten.
Was folgte, war eine beeindruckend virtuose Darbietung dreier Sätze aus der „Lincolnshire Poesy“ von Percy Grainger. Die bekannte Blasorchester-Komposition basiert auf englischen Volksliedern, die Grainger auf einer Reise durch Lincolnshire sammelte und die er in diesem Stück variiert und vertieft. Dabei stellen die komplexen Rhythmen des Werks eine Herausforderung dar, welche die Bläserphilharmonie jedoch, wie auch schon beim Bayerischen Orchesterwettbewerb, mit viel Sicherheit und Ausdrucksstärke meisterte.
Die Wahl des nächsten Stücks – „Marea Negra“ (zu Deutsch „Schwarze Flut“) von Antón Alcalde – hat wohl erneut persönliche Gründe für den Dirigenten Moreno López. Denn das Werk ist eine musikalische Verarbeitung der Ölkatastrophe, die sich 2002 vor der galicischen Küste Spaniens ereignete. Als dort ein Öltanker sank und ein riesiges Gebiet mit seinem geladenen Heizöl verseuchte, war der galicische Komponist Antón Alcalde zehn Jahre alt. Als 17-Jähriger brachte er die Dramatik der Katastrophe mit seiner Komposition auf die Notenpulte. Auch beim Osterkonzert beeindruckte dieses brachiale Werk nicht nur aufgrund seiner originellen, epischen Klangbilder und rasanten Holzbläserläufe, sondern vor allem, weil es die Brutalität der Ölkatastrophe sowie auch die anschließende Solidarität der spanischen Bevölkerung auf so dramatische und bewegende Weise in Noten fasst.
Germán Moreno López, der grundsätzlich frei, also ohne Partitur dirigiert, holte dabei von der anfänglichen, spannungsgeladenen Geräuschkulisse bis zum kraftvollen Finale des Stücks alles aus seinen Musiker:innen heraus. Aus den zahlreichen Solo-Stellen stach insbesondere eine ruhige Klavier-Kadenz heraus, gespielt von Michael Ahne und dann begleitet von Agnes Brinkmann am Cello, Eva Stempfle am Fagott und Gabi Mordstein an der Oboe. Sie machte die traurigen Folgen der Katastrophe spürbar. Beim Anschwellen des Applauses reagierte eine Zuschauerin auf das eben Gehörte mit den Worten: „Einfach nur fantastisch.“ „Marea Negra“ wirkte beim Publikum auch in der Pause als Highlight der ersten Konzerthälfte noch nach.
Da der Komponist Anton Bruckner, den Germán Moreno López als „größten Sinfoniker aller Zeiten“ bezeichnet, erst kürzlich 200 Jahre alt geworden wäre, widmete die Bläserphilharmonie seiner Motette „Christus factus est“ nach der Pause einen Platz im Konzertprogramm. Das Werk erklang in einer imposanten Fassung für Blasorchester, welche erneut die programmatische Vielfalt des Konzertabends sowie das sensible, präzise Spiel des Orchesters unterstrich.
Die darauffolgende „Rapsodia Valenciana“ von Manuel Panella Moreno schlug als Potpourri aus valencianischen Tänzen wieder andere Töne an. Moreno López widmete sie seiner Heimat Valencia in Erinnerung an die tragische Flutkatastrophe, die sich dort im vergangenen Oktober ereignete und von der er selbst persönlich betroffen war. Das Stück feiert die Schönheit der valencianischen Musik und klingt aufgrund seiner traditionellen Tanzrhythmen leichtfüßig und fröhlich. Ein besonders schönes Flügelhornsolo, gespielt von Jürgen Marx, bildete einen musikalischen Höhepunkt des Werks.
Auch das melancholische Stück „Oblivion“ (zu Deutsch „Vergessen“) von Astor Piazzolla widmete die Stadtkapelle den Flutopfern von Valencia. Dabei bot die Bläserphilharmonie sehnsüchtige Melodien, welche Piazzolla ursprünglich als Filmmusik komponiert hatte, in einem Arrangement für Cello und Blasorchester dar. Nach dem äußerst behutsamen Beginn des Stückes mit der Solistin Agnes Brinkmann baute sich dieses zusammen mit dem restlichen Orchester zu einem imposanten Tango auf, ohne dabei jedoch seine anfängliche Behutsamkeit zu verlieren.
Einen fulminanten Höhepunkt des Konzertabends bildete das letzte Programmstück „Extreme Make-Over“ von Johan de Meij, das ein Thema aus Tschaikowskys Streichquartett Nr. 1 auf höchst anspruchsvolle und originelle Weise variiert, verfremdet und schließlich so auf die Spitze treibt, dass es in ein ekstatisches Finale mündet, bei dem das ganze Orchester auf seine Kosten kommt. Eine Reihe herausragender Solist:innen zeigten hier noch einmal ihr Können, unter anderem Martina Becher am Saxophon, Gabi Mordstein an der Oboe, Michael Ahne am Xylophon und Stefan Saur am Marimba. Auch das Klarinettenregister, das zwischenzeitlich auf Flaschen statt auf Klarinetten spielte und dann wieder mit turbulenten Läufen beeindruckte, sorgte zusammen mit dem massiven Sound von Blech und Schlagwerk für ein kraftvolles Konzertfinale, das zwar unvorhersehbar und überraschend komponiert ist, aber dennoch auch die Zuhörer:innen durch seinen Groove mitreißen konnte.
Beim abschließenden Applaus stand das Publikum, und auch die Musiker:innen auf der Bühne bedankten sich bei ihrem Dirigenten mit einer Standing Ovation. Die Vizepräsidentin der Stadtkapelle, Anna-Lena Neukirchner-Schäffler, bedankte sich besonders herzlich beim Publikum für den Applaus: „Gerade nach einer so intensiven und auch anstrengenden Reise hierher fühlt sich das richtig gut an, vielen Dank.“ Auch dankte sie allen Helfer:innen, dem Dirigenten und insbesondere den Musiker:innen auf der Bühne für „ihr Engagement, ihre Zeit und ihre Hingabe für den Verein und für die Bläserphilharmonie“.
Dirigent Germán Moreno López hatte sich im Vorfeld ebenfalls bei seinem Orchester und dem Verein bedankt, den er schon öfter als „Wunder“ bezeichnet hat: „Hinter diesem Wunder stehen engagierte und effektive Menschen sowie Institutionen, die dies möglich machen.“ Die Unterstützung der Stadt Wertingen und der Musikschule sowie die organisatorische Arbeit im Verein seien das Erfolgsrezept, welches ein Konzert wie dieses überhaupt erst ermögliche. Sein größter Dank gelte jedoch den Musikerinnen und Musikern, die durch ihr Engagement „allen Wertingerinnen und Wertingern mit ihrer Musik so viel Freude bereiten.“
Dem Wunsch nach einer Zugabe kam das Orchester mit der aktuellen Komposition „Un Cafecito“ des Amerikaners Dennis Llinás gerne nach. Darin kommen dessen kubanische Wurzeln musikalisch zur Geltung. Vor allem die Solistin Lea Lernhard am Saxophon sowie das Posaunenregister und die Trompeten konnten sich hier noch einmal verausgaben und sorgten für jede Menge Spaß sowohl auf als auch abseits der Bühne. Das mitreißende Stück bildete damit zum Abschluss einen weiteren Höhepunkt, bei dem man tanzen und gleichzeitig spannungsgeladen abwarten wollte, was als Nächstes passiert. Mit entsprechend guter Laune verließ das Publikum am Ende des Abends beschwingten Schrittes die Stadthalle.
Die Bläserphilharmonie Wertingen und ihr Dirigent Germán Moreno López zeigten sich bei diesem virtuosen Osterkonzert erneut vielseitig im Programm, präzise im Spiel und mit viel Leidenschaft für die dargebotene Musik. Einer der Zuschauer brachte es im Anschluss an das Konzert auf den Punkt: „Die waren richtig, richtig gut. Schade, dass es keine zweite Zugabe gibt!“ Im Hinblick auf die bereits laufende, intensive Vorbereitung auf den Deutschen Orchesterwettbewerb sei ihnen das natürlich verziehen.
Nächste Konzerte der Bläserphilharmonie:
- 31. Mai, 19:30 Uhr, Stadthalle: TRY-OUT Konzert für den Wettbewerb
- 17. Juni, 13:15 Uhr, Kurhaus Wiesbaden: Deutscher Orchesterwettbewerb
- 21. November, 18:00 Uhr, Pfarrkirche St. Martin: Candlelight-Konzert